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Das Wort zum Sabbat – Archiv

– Artikel vom 16.01.2021 –



Wer ist der Größte?

"Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf" (Matthäus 18,1-5).

Mit diesen Worten sprach Jesus ein Thema an, das für seine Jünger wichtig war: Wer ist der Größte, wer unter ihnen ist der Größte? Und in Jesu Worten finden wir eine krasse Gegenüberstellung, wenn uns die Stellung bekannt ist, die Kinder damals in der gesellschaftlichen Kultur hatten.

Jesu ganze Haltung gegenüber Kindern war radikal. Um zu erkennen, wie radikal Jesu Lehre über Kinder war, müssen wir verstehen, wie Kinder damals behandelt und angesehen wurden. Zum einen lehrte Jesus, dass wir alle Kinder Gottes sind. Damit verkündete er, dass jedes Kind (oder jeder Mensch) in den Augen Gottes von gleichem, unschätzbarem Wert ist. Das war erstaunlich für die Juden, die sich selbst als das auserwählte Volk sahen. Es war auch erstaunlich für die weltliche Obrigkeit der damaligen Zeit. Im Römischen Reich basierte der Wert eines Kindes zu einem großen Teil auf seiner Abstammung. Wenn der Vater ein König war, dann waren seine Kinder ein Schatz für die Nation, besonders aber wenn sie männlich waren. Außerdem wurde der Wert der Kinder durch ihre Fähigkeit bestimmt, dem Staat zu dienen.

Zur Zeit Jesu wurden Kinder also sehr unterschiedlich behandelt. Viele wuchsen als Sklaven auf. Das Römische Reich hatte einen unstillbaren Bedarf an Arbeitskräften, und Frauen und Kinder waren oft die Sklaven, die diesen Bedarf deckten.

Noch schrecklicher war die Praxis des "Aussetzens", bei der ein neugeborenes Kind in einem abgelegenen Gebiet, oft einer Müllhalde oder einem Misthaufen, ausgesetzt wurde und dort aus Mangel an Nahrung und Pflege sterben musste — verwüstet durch Tiere oder die Elemente. Gelegentlich wurden ausgesetzte Kinder gerettet, aber manchmal von denen, die sie aufziehen wollten, um sie als Sklaven zu verkaufen.

Im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung im Römischen Reich hatte der Haushaltsvorstand das gesetzliche Recht, über Leben und Tod eines Kindes zu entscheiden, vor allem in den ersten acht Lebenstagen. Warum wurden Kinder ausgesetzt? Gründe waren Armut, Behinderung oder Missbildung, der Wunsch einer wohlhabenden Familie, das Erbe nicht aufteilen zu müssen, falsches Geschlecht (Männer wurden mehr geschätzt als Frauen) und die Geburt als uneheliches Kind.

Später sagte Jesus: "Lasset die Kinder und wehret ihnen nicht, zu mir zu kommen; denn solchen gehört das Himmelreich" (Matthäus 19,14). Das war nicht bloß eine niedliche Geste, denn Jesus reagierte damit auf die Haltung seiner Jünger, die verhindern wollten, dass die Kinder zu Jesus gebracht werden. Jesus stellte die Vorstellung der Gesellschaft seiner Zeit in Bezug auf Größe auf den Kopf.

Inwiefern hat sich unsere Vorstellung in Bezug auf Größe seit unserer Berufung verändert? Bestimmt die Gesellschaft, in der wir leben, unsere Sichtweise? Oder haben wir Jesu Definition übernommen? Der Größte dient, ist belehrbar und (geistlich) wissbegierig wie ein Kind.

In diesem Sinn wünsche ich allen einen gesegneten Sabbat.

In christlicher Verbundenheit

Paul Kieffer

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