VKG_logo

Das Wort zum Sabbat – Archiv

– Artikel vom 02.12.2017 –

Moderne Bildnisse

Meine Mutter meinte, von ihren acht Kindern wären ich und mein ältester Bruder (ich war das fünfte von acht Kindern) diejenigen, die ihr den größten Kummer bereiteten. Mir sagte sie einmal: "Es ist gut, dass es von dir nur ein Exemplar gibt." Deshalb hätte sie sich wahrscheinlich mit einem Spruch vor einer Kirche in den USA identifizieren können: "Versuche nicht, einen anderen Menschen nach deinem Bild zu schaffen, denn du bist einzigartig und der andere ist es auch."

Ein Bild machen -- das erinnert an das 2. Gebot, in dem es heißt: "Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt" (5. Mose 5,8). Und das Gebot sagt uns, dass wir kein Bildnis anbeten dürfen. Nun, in unserer modernen westlichen Welt käme wohl kaum jemand auf die Idee, sich ein Bildnis zu machen und es anzubeten -- jedenfalls nicht bewusst als Ersatz für Gott.

Aber vielleicht machen wir uns ein Bildnis im übertragenen Sinn, wenn wir uns sozusagen "ein Bild" von jemandem machen, das unseren Vorstellungen entspricht. Es gibt vielleicht Menschen, an denen wir einiges auszusetzen haben, weil sie nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Würden sie sich ändern -- unserem "Bild" entsprechend --, hätten wir nichts mehr auszusetzen.

Ist es in Ihrem Sinn jemals vorgekommen, dass Sie sich "ein Bild" von anderen gemacht haben? Eine Volksgruppe etwa (Ausländer, Türken, Muslime, Konservative, Linke, Frauen am Steuer usw.)? Wenn wir uns solche Bilder machen, scheren wir alle über einen Kamm. Unser Bild ist bereits fest und der andere gehört einfach in die entsprechende Schublade, und das Bild kann negativ besetzt sein.

Vor mehr als 40 Jahren klingelte es an der Tür unseres Büros in Düsseldorf. Wir benutzten die Hälfte der Etage als unser Büro, und uns gegenüber auf der Etage war eine Versicherungsagentur. Ich öffnete unsere Eingangstür und sah die Empfangsdame der Versicherungsagentur in ihrer Eingangstür stehen. Vor ihr stand ein südländischer Ausländer mit Papieren. Er war offensichtlich der deutschen Sprache nicht richtig mächtig und konnte sich nicht ausreichend verständlich machen. Die Frau sagte mir mit lauter Stimme: "Helfen Sie mir, dass er verschwindet, ich kann Ausländer nicht ausstehen!" Komisch, dass sie mich um Hilfe bittet, dachte ich. (Der Mann ging dann von alleine.)

Vor ungefähr genauso vielen Jahren kehrte ein Mitglied der Kirche nach dem Versammlungsbesuch zu seinem Auto zurück, das in einer Parkgarage abgestellt war. Trotz mehrerer Versuche sprang das Auto nicht an. Ein südländischer Ausländer, der sein Auto abholen wollte, kriegte das mit und kam auf unser Mitglied zu. "Auto nicht gehen? Ich helfen Sie!", sagte er und holte ein Überbrückungskabel, und die Aktion hatte Erfolg -- das Auto sprang an.

"Du sollst dir kein Bildnis machen", kann das nicht im übertragenen Sinn heißen: "Leg dich gegenüber deinem Nächsten nicht so schnell fest"? Jemanden nach unserem Bild -- nach unseren Vorstellungen -- zu schaffen kann mit Vorurteilen verknüpft sein. "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", sagt uns Jesus. Wir möchten bestimmt nicht, dass andere uns im übertragenen Sinn nach ihrem Bild schaffen wollen, daher sollen wir es auch nicht tun.

In diesem Sinn wünsche ich allen einen gesegneten Sabbat.

In christlicher Verbundenheit

Paul Kieffer

Sonnenuntergang Zur Archiv-Übersicht >>