VKG_logo

Das Wort zum Sabbat – Archiv

– Artikel vom 10.12.2016 –

Dem Weinenden weinen helfen

Dem englischen Dichter William Shakespeare wird der Spruch zugeschrieben: "Geteiltes Leid ist halbes Leid." In diesem kurzen Satz ist eine wichtige Lebenserfahrung enthalten: Mit Leid wird man besser fertig, wenn man es mit anderen "teilen" kann bzw. wenn man sich mitteilen kann. Zum "Leid teilen" gehören mindestens zwei Personen: der Leidende und derjenige, mit dem der Leidende sein Leid teilt.

In 1. Korinther 12, Vers 26 sagt uns der Apostel Paulus: "Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit." "Weint mit den Weinenden", ermahnt er uns in Römer 12, Vers 15. Ist uns unsere diesbezügliche Verantwortung bewusst?

Als Beispiel dient die Geschichte eines kleinen Jungen, dessen Nachbar, ein betagter Mann, seine Frau verloren hatte. Manchmal sah der Junge den alten Mann weinen. Er kletterte ihm dann auf den Schoß und blieb dort bei ihm sitzen. Das Verhalten des Jungen überraschte seine Mutter, die ihn fragte, was er mit dem Witwer redete. "Nichts", war die Antwort, "aber ich helfe ihm beim Weinen."

Der kürzeste Vers in der englischen "King James"-Bibel beschreibt Jesu Reaktion auf den Tod seines Freundes Lazarus: "Jesus weinte" (Johannes 11,35; in der Lutherbibel mit "Und Jesus gingen die Augen über" übersetzt). Obwohl er wusste, dass er in wenigen Minuten seinen toten Freund wieder zum Leben erwecken würde, teilte er die tiefe Trauer, die Lazarus' Schwester Maria empfand. Die Juden, die das miterlebten, sagten: "Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt" (Vers 36).

Manche meinen es gut mit Trauernden, indem man versucht, sie aufzumuntern. König Salomos Rat lautet hingegen: "An einem kalten Tag die Kleider ablegen oder Essig in eine Wunde gießen – so wirkt es, wenn du einem traurigen Menschen lustige Lieder vorsingst" (Sprüche 25,20; Gute Nachricht Bibel). Manchmal ist es das Beste, wenn wir uns wie der kleine Junge verhalten und jemandem einfach nur weinen helfen.

In einer Rede 1859 vor der Agrar-Gesellschaft des US-Bundesstaates Wisconsin sagte der spätere US-Präsident Abraham Lincoln: "Es wird gesagt, dass ein östlicher Monarch seine Weisen einst beauftragte, ihm einen Satz vorzulegen, der zu allen Zeiten und in allen Situationen ihm immer vor Augen sein sollte. Sie legten ihm den Satz vor: 'Auch dies wird vergehen.' Wie ausdrucksvoll dieser Satz ist! Wie zurechtweisend in der Stunde des Stolzes! Wie tröstlich in den Tiefen der Anfechtung!"

König Salomo sagte auch: "Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde ... sterben hat seine Zeit ... heilen hat seine Zeit ... weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit" (Prediger 3,1-4). Wer leidet oder trauert, wird nicht ewig leiden oder trauern. Es wird wieder eine Zeit zum Singen, zum Lachen und zum Tanzen geben. Bis es aber so weit ist, sollen wir dem Weinenden weinen helfen.

In diesem Sinn wünsche ich allen einen gesegneten Sabbat.

In christlicher Verbundenheit

Paul Kieffer

Sonnenuntergang Zur Archiv-Übersicht >>