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Das Wort zum Sabbat – Archiv

– Artikel vom 17.10.2015 –

Der kulturelle Zusammenhang (1)

Um manche Aussagen der Bibel besser zu verstehen, kann ein Verständnis des kulturellen Zusammenhangs der damaligen Zeit hilfreich sein. Zwei Beispiele aus der Zeit Jesu veranschaulichen dieses Prinzip.

In der Bergpredigt sagte Jesus im Kontext seiner Erläuterung zum Thema "Auge um Auge, Zahn um Zahn" (Matthäus 5,38): "Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei" (Vers 41). Was meinte Jesus damit?

Jesus bezieht sich damit auf die Praktik der Römer, Privatpersonen bei der Übermittlung wichtiger Botschaften heranzuziehen, um die Zustellung der Botschaft zu gewährleisten. Das Wort "nötigt" im Urtext leitet sich von einem persischen Wort ab, das die Bedeutung "zum Dienst verpflichten" hat. Manchmal musste der zum Dienst Verpflichtete ein eigenes Pferd mit Wagen zur Verfügung stellen. Das allein genügte nicht, denn die zu übermittelnde Botschaft musste "persönlich" begleitet werden.

Da viele Juden die römische Herrschaft über Judäa verachteten, passte Jesu Aufforderung, die zusätzliche Meile zu gehen, zum Kontext des Themas "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Seine Jünger sollten bereit sein, diesen unrühmlichen Dienst ohne Streit und Widerstand zu leisten. Außerdem war die zusätzliche Meile ein Akt der Nächstenliebe, denn damit ersparte man einem anderen Menschen die Übernahme dieses Dienstes für diese zusätzliche Meile.

Das andere Beispiel hat mit der Vorbereitung auf das letzte Passah im Leben Jesu zu tun. Die Jünger fragten Jesus: "Wo willst du, dass wir hingehen und das Passah bereiten, damit du es essen kannst?" (Markus 14,12). Jesus antwortete wie folgt: "Und er sandte zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: Geht hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Krug mit Wasser; folgt ihm und wo er hineingeht, da sprecht zu dem Hausherrn: Der Meister lässt dir sagen: Wo ist der Raum, in dem ich das Passah essen kann mit meinen Jüngern?" (Verse 13-14).

In der damaligen Kultur war es sehr ungewöhnlich, dass ein Mann Wasser holte. Das war im Allgemeinen die Aufgabe einer Frau. Deshalb hätten Jesu Jünger keine große Mühe gehabt, den Mann zu finden bzw. zu erkennen, den Jesus meinte. Außerdem bestimmte Jesus den Zeitpunkt des "Entsendens" der beiden Jünger, und der Mann mit dem Krug scheint auch im Voraus gewusst zu haben, dass er nach dem Raum als Treffpunkt für das Passah gefragt wird. Daraus schließen manche Kommentatoren, dass das Tragen des Kruges ein bereits zuvor vereinbartes Zeichen war, damit die Jünger Jesu den Mann erkennen. Beweisen lässt sich das freilich nicht, aber dass ein Mann einen Wasserkrug trug, war auf jeden Fall im damaligen kulturellen Kontext ungewöhnlich.

In der Fortsetzung nächste Woche behandeln wir einen wichtigen Begriff vor dem Hintergrund des kulturellen Zusammenhangs zur Zeit Jesu: der Sohn Gottes.

In diesem Sinn wünsche ich allen einen gesegneten Sabbat.

In christlicher Verbundenheit

Paul Kieffer

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